„Glitch Fashion“: Warum 2024 für SUNNEI bedeutend wird
SUNNEI zeigt, wie Mode im 21. Jahrhundert „geht“ und erschuf eine immersive Welt – von Pullover über Vinyl-Schallplatten bis Sex-Toys.
Noch fliegt sie mehr oder minder unter dem Radar, doch SUNNEI wird in den nächsten Jahren jenseits der Fashion-Schallmauer an Bekanntheit gewinnen. 2015 startete die Marke, 10 Jahre später erkämpft sie sich gerade die Frontrow der Modeindustrie.
Simone Rizzo und Loris Messina – die SUNNEI-Gründer
„Soziale Kommentatoren“: Simone Rizzo und Loris Messina haben mit ihren Designs den Zeitgeist in ihrer Mode eingefangen, sind sich Kritiker:innen einig.
Begonnen als Menswear-Label sind sie mittlerweile dem Ruf ihrer Fans gefolgt und entwerfen auch Womenswear, die sich in den Reigen aktueller Überflieger wie Jaqcquemus optisch ideal einreiht und damit auf der Gen-Z-Mix’n’Match-Look einfügt.
Dazu folgen Inszenierungen, welche die Hierarchie der Modebranche vermeintlich und humoristisch in Frage stellen. So wie bei der Spring/Summer 2024 Show, wo SUNNEI das Publikum über seine Kollektion per Richter-Kellen abstimmen ließ. So bizarr der Eindruck, der an Dressurreiten erinnert, ist die Realität der Mode nicht weit davon entfernt.
„You are born to judge“, erzählt die Stimme aus dem Off im Video zur Show. Dass daran etwas dran ist (auch wenn es nicht der wünschenswerten Verhaltensnorm entspricht) kann man nicht verneinen. Schließlich steht die Mode als Spiegelbild der Gesellschaft auf genau diesen tönernen Füßen, die besonders in unserem politisch korrekten Zeitalter tabuisiert wird.
SUNNEI wirkt dabei wie ein „Reset-Button“ für alles, was in den letzten Jahrzehnten in der Modeindustrie als gängiger Ablauf etabliert wurde sowie die Festhaltung an strengen Hierarchien. Da die Designer:innen, Models auf dem Laufsteg, begeisterte Fans abseits davon und die ewige Suche nach Perfektion. Muss nicht sein, dachten sich wohl auch Rizzo und Messina.
SUNNEI: Die Nicht-Designer
Dass sich Simone Rizzo und Loris Messina nicht als Modedesigner bezeichnen, wirkt für manche vielleicht auf den ersten Blick etwas eigenartig, ist aber durchaus zeitgenössisch. Während das 20. Jahrhundert die modischen Früchte der Moderne mit den typischen Looks von 50s bis 90s kreierte, stecken wir im 21. Jahrhundert mitten in der Postmoderne, die sich geradezu in einen Posthumanismus bewegt.
Die rapide technologische Beschleunigung, die sich auch in der Modeindustrie durch enorm schnelle Produktionsmöglichkeiten zeigt, wirkt sich ebenso auf die unüberschaubare Menge an co-existierenden Stilen aus, die parallel existieren. Mode als demokratisches“ Massenkonstrukt wird heute mehr remixt, denn neues erfunden.
Das sieht man auch, wenn man sich durch die Luxusportale dieser Welt scrollt: Viele Luxusmarken verlieren sich geradezu im schwarzen Loch des Mass Markets und bieten eine kaum mehr zu überblickende Fülle an Produkten, die ähnlich dem Fast Fashion Markt, in täglichen „Drops“ von verschiedenen „Capsule Collections“ das Rad des Verfalls immer schneller drehen.
Der Consumer, der sich verliert, liebt es also in eine für ihn vordefinierte Welt einzutauchen und in ein immersives Erlebnis vorzufinden, dass früher etwa Concept Stores, wie „Colette“ bieten konnten.
Der Begriff des „Modedesigners“ greift dieser Definition nach also wahrlich zu kurz. Wir sind schließlich im Zeitalter der Kollaborationen angelangt ohne die heute keine global operierende Marke mehr leben kann.
Die strenge Hierarchisierung dieser Lifestyle-Welt, die so wunderbar im menschlichen Ur-Hirn als Gradmesser der eigenen Identität funktioniert, ist der wahre Kern eines „Marketing-Mix“, der die ungeschriebenen Adelsbäume der heutigen Luxuswelt entstehen lässt.
Das haben auch Rizzo und Messina erkannt und bieten von Mode für Damen und Herren, Kerzen, Geschirr, Schallplatten (mit eigenem DJ-Mix und limitiert) bis zu Sex-Toys (ganz italienisch aus Murano-Glas versteht sich) in ihrem Webshop an.
Der/die Designer:in wird damit zum Editor einer Konsumwelt, die seine Followerschaft bedient. Der Creative Director eines Tribes, dem man folgen kann.
Was eine Marke von Heute machen kann, um in einer stressigen Welt aufzufallen? Humor haben. Das ist bei SUNNEI ausreichend vorhanden. Der Name erinnert nicht zufällig an das englische Wort „Sun“. Es war der Song „Sunny“ von Stevie Wonder, der dazu inspirierte.
Doch wie kann man heute noch auffallen?
Angelehnt an den Begriff des „Glitch Feminism“ der Cyberfeministin Legacy Russell würde ich es „Glitch Fashion“ nennen.
Und die Formel demnach geht so: Man wähle eine Basic-Form, die jeder kennt. Etwa Stiefel mit hohem Schaft. Soweit noch nichts besonderes. Doch dann fügt man Sohlen und Absätze mit Gumminoppen hinzu. Schon ist der Riss in der „Normalitätsmatrix“ des Betrachtenden auf der Straße geschehen.
Auffallen um jeden Preis? Auf den zweiten Blick, ja. Denn da das Offensichtliche von allen Dächern geplärrt wird und die Oberhand gewonnen hat, ist der westliche Konsum-Mensch dafür blind geworden. Produktdesigner:innen müssen daher eben zu anderen Mitteln greifen.
Was jedoch früher noch „Avantgarde-Looks“ genannt wurde, ist damit heute längst TikTok-Mainstream (- und Avantgarde ist somit ein Wort geworden mit dem man sich gleich als Millenial oder Boomer enttarnen kann.)
SUNNEI sind zwar bei weitem nicht die ersten, die dies erkannt haben, doch spielen sie ihre Sortimentsklaviatur brillant danach.
„We should all be SUNNEI“
Während Maria Grazia Chiuri, Creative Director von Dior, vor einigen Saisonen noch mit dem patzigen Slogan von „We should all be feminists“ ein T-Shirt kreierte, das nicht nur Applaus erzeugte, schlug SUNNEI mit einem Pullover zurück, der mit „We should all be SUNNEI“ das Konzept des hierarchischen Meme-Climbing
Eine weitere Formel, die im heutigen Wirbelwind der Instagram Society beherrscht werden muss: Einen Kommentar abgeben zu einem Hype, der wiederum den Blick auf sich zieht. Etwas, das man sich a) trauen muss und b) das viele nicht berücksichtigen, um eine Marke aufzubauen.
Es sind eben diese kleinen Bits & Pieces, diese kleinen Trümmerteile des Humors, die in der Goldfischaufmerksamkeit des Internetzeitalters langsam einen Namen aufbauen.
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