Rafia Zakaria: Der Feminismus und seine Zähne

Rafia Zakaria, die pakistanisch-amerikanische Autorin und Aktivistin, hat mit ihrem neuesten Werk „Gegen weißen Feminismus: Wie ‚weißer‘ Feminismus Gleichberechtigung verhindert“ eine scharfsinnige Kritik am etablierten, westlichen Feminismus vorgelegt. Dabei verkündet Zakaria ihr Vorhaben: „Dem Feminismus seine Zähne zurückzugeben, ist ein sehr dringendes Projekt.”

Diese Form des Feminismus, wie Zakaria akribisch darlegt, ist tief in den populären und Nach-richtenmedien, den konsumorientierten Ökonomien und ihren politischen Diskursen verankert. Aber wie definiert Zakaria „weiße Feminist-innen”? Es ist „jemand, der sich weigert, die Rolle zu betrachten, die Weißsein und das damit ver-bundene rassische Privileg gespielt haben und weiterhin spielen, indem sie weiße feministische Anliegen, Agenden und Überzeugungen univer-salisieren.” Es geht hierbei nicht nur um rassische Identität, sondern vielmehr um Annahmen, die überwiegend von weißen Frauen vorangetrieben werden.

Indem sich Zakaria auf die Argumente feministischer Denkerinnen wie Audre Lorde, Kimberlé Crenshaw und Gayatri Chakravorty Spivak stützt, geht ihr Buch auf den systemischen Rassismus ein, der unsere Kulturen, Institutionen, sozio-politischen Bewegungen und alltäglichen Interaktionen durchdrungen hat. Anhand his-torischer und zeitgenössischer Beispiele unter-sucht sie, wie Imperialismus, Siedlerkolo-nialismus, Kapitalismus und Neokolonialismus einen weiß-zentrierten Feminismus geformt haben, der oft Women of Color ausschließt. Dabei schließt er insbesondere jene aus, die aus nicht-westlich geprägten Ländern stammen. Zakaria scheut sich nicht davor, die schädlichen Auswirkungen dieses Denkens zu kritisieren. Dabei sind es jene, die in verschiedenen historischen Kontexten sich als Retterinnen von kolonialisierten oder kriegsgeplagten Frauen positionieren und damit schädliche Narrative und Handlungen perpetuieren.

Zakaria geht auch auf das Konzept des Empowerments ein, das im Kontext des westlichen Neoliberalismus und Kapitalismus zu einem unscharfen Schlagwort geworden ist – losgelöst von seiner ursprünglichen, ganzheitlichen Bedeutung.

– Rafia zakaria

Der große Schaden, den weiße Frauen angerichtet haben, sei die vermeintliche Zivilisierung von Frauen in kolonialisierten Ländern, um sie (primär) vor Männern ihres Kulturkreises zu ret-ten. Dazu komme die Zentrierung des Weiß-seins durch Frauen, die in kriegszerstörte Länder rei-sen, um auf die Lage der dortigen Frauen auf-merksam zu machen. Diese werden dadurch objektiviert, exotisiert und in das westlich geprägte Feminismusmodell gepresst, wie Zakaria schreibt.

Rafia Zakaria: Against White Feminism

In ihrer Arbeit legt Zakaria überzeugend dar, warum eine transformative Veränderung in-nerhalb des Feminismus notwendig ist. Sie fordert eine Rückeroberung der Erzählung, ein Echo auf Kimberlé Crenshaws „Krieg um die Erzählung”, der Feministinnen of Colour auf-fordert, die Geschichte der Bewegung und die Sichtbarkeit von Weißsein neu zu formen. Sie beruft sich auf Nancy Frasers Philosophie der Geschlechtergerechtigkeit und betont die Not-wendigkeit von Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation über bloßen Tokenismus hinaus. Und sie nimmt Audre Lordes Aufruf zur Solidarität an, indem sie sich einen feministischen Raum vorstellt, der vielfältiges Wissen und Expertise wertschätzt. In ähnlicher Weise, so Zakaria, ist der sex-positive Feminismus zu einem Synonym für totale Befreiung und Ermächtigung geworden und hat zur Kommodifizierung sexueller Identitäten geführt.

In ihrem Buch erzählt sie auch von ihrer persönlichen Geschichte, als sie 2002 vor ihrem gewalttätigen Ehemann, ohne finanzielle Grundlage, mit ihrem Kind flüchtete, Unter-schlupf bei einer Fremden fand, um „nach schwierigen Jahren“ ihr Jurastudium und einen postgradualen Abschluss in politischer Philo-sophie zu absolvieren. Auf die Hilfe Fremder angewiesen zu sein, um basale  Bedürfnisse zu decken, war eine besonders bewegende Erfahrung, die sie als muslimische Einwanderin, Woman of Colour, geschiedene, alleinerziehende Mutter und Opfer häuslicher Gewalt erlebte. Dazu fühlte sie den beständigen Druck auf sie projizierter Stereotype, die mit ihrer kulturellen Identität verbunden werden.

Ich habe mit jeder Geschlechternorm gebrochen, mit der ich aufgewachsen bin, ich habe mich für Bildung und Unabhängigkeit entschieden – mit all den damit verbundenen Kämpfen – und das mit wenig Unter-stützung. Wenn ich nur gewusst hätte, dass ich nicht allein bin, wenn ich die Stimmen von muslimischen und anderen farbigen Feministinnen wie mir hätte hören können, die an vorderster Front gegen den Terror, gegen religiösen Obskurantismus und gegen patriarchale Herrschaft kämpfen, aber vom weißen feministischen Diskurs ausgeschlossen sind“, schreibt sie am Ende des Kapitels.

Credits: Rafia Zakaria ©

Heute wird der Feminismus in Afghanistan delegitimiert, weil er mit den USA, der Besatzungsmacht, in Verbindung gebracht wird. Ich würde sagen, es ist eine Art von Missbrauch des Feminismus, der größtenteils von weißen, westlichen Frauen wie Gloria Steinem angeführt wurde, die Afghanistan nach ihrem eigenen Bild verändern wollten und dabei völlig versagt haben. All diese Veränderungen fanden im Kontext einer fragilen Wirtschaft statt, die von den USA künstlich aufgebaut wurde und die nach dem Abzug völlig zusammengebrochen ist“

– rafia zakaria

Zakarias Kritik erstreckt sich auch über westliche „Grenzen“ hinaus. Sie hebt hervor, wie der weiße Feminismus weltweit exportiert und anderen auf-gezwungen wurde und wird. Die Konsequenzen daraus, seien nicht nur historisch, sondern an-dauernd und prägen die Reaktionen auf Krisen, wie man gerade in Afghanistan sieht.

Das Buch ist ein Aufruf zum Handeln, eine Forderung nach der Ausmerzung weißer Vorherr-schaft und  der Verbannung des Neoliberalismus aus der feministischen Bewegung, die eine gerechtere Zukunft entstehen lassen soll. Zakarias unverblümte Analyse, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen und einer Fülle von Studien, fordert die Leser:innen heraus, sich mit un-bequemen Wahrheiten zu konfrontieren und auf bedeutungsvolle Veränderungen im Sinne eines intersektionalen Feminismus hinzuarbeiten.

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