Klick für den Kink: Warnzeichen einer Pornosucht

Die Zeiten, in denen Pornos heimlich aus der Videothek geliehen wurden, sind schon lange vorbei. Heute genügt ein Klick, und sämtliche Vorlieben – von Analsex über BDSM bis zu sehr extremen Genres – sind sofort verfügbar. Doch was passiert, wenn der Konsum die Kontrolle übernimmt und Pornosucht entsteht? Welche Spuren hinterlässt das im Gehirn und wie beeinflusst es Alltag und Beziehungen? Antwort: Sehr stark. Aber dazu noch später.

von Britta Tess

Zwei Fakten vorweg. Nummer 1: Pornosucht bleibt eine oft übersehene Abhängigkeit. Und Nummer 2: Studien des National Institutes of Health (USA) zeigen, dass zunehmend auch Frauen betroffen sind. Etwa 11 % der Männer und 3 % der Frauen in den USA bezeichnen sich als pornosüchtig.

Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, da viele ihre Abhängigkeit nicht wahrnehmen oder sich derer schämen. Dabei wird Pornografie oft genutzt, um Stress und negative Emotionen zu verdrängen. Als eine Form der Flucht aus dem Alltag, hat es jedoch weitreichende Konsequenzen. Spätestens dann, wenn es zur Pornosucht kommt.

Male vs. Female Gaze

Frauen, die regelmäßig Pornos konsumieren, werden meist mit dem male gaze konfrontiert, der Frauen als verfügbare Objekte zeigt, die männliche Fantasien erfüllen. Diese Darstellungen können zu einer Art „Erwartungsschulung“ führen: Frauen beginnen dabei ihre Sexualität durch die männlich geprägte Linse zu sehen und entwickeln das Bedürfnis Erwartungen zu erfüllen, wobei echte Intimität, Nähe, Liebe und die eigene Befriedigung authentisch den eigenen Körper zu spüren, auf der Strecke bleiben. Diese unerfüllten Bedürfnisse, ein verzerrtes Selbstwertgefühl und die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität wirken emotional entfremdend.

Männer hingegen werden oft von der schnellen und intensiven Befriedigung angezogen, die Pornos bieten. Der male gaze in der Pornografie stellt Männer als aktive Akteure und Performer mit wenig Gefühl dar, dessen Bedürfnisse es zu befriedigen gilt. Dieser Fokus auf sofortige Befriedigung und Kontrolle über das Geschehen kann süchtig machen, da das Gehirn jedes Mal mit einem Dopaminschub belohnt wird.

Wie das abseits der Theorie aussieht, beschreibt ein Betroffener so: „Es hat mein Selbstbild und mein Verständnis von Sexualität komplett verändert. Ich kann in einer Beziehung kaum noch Nähe zulassen, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht genug bin. Pornos haben mich immer auf eine Art erregt, die ich in der Realität nicht finde, und das macht mich kaputt.“ Wenn der Prozess der Abstumpfung fortschreitet, brauchen die Konsumierenden schließlich immer extremere Inhalte, um den Kick zu erreichen. Dieser „Toleranzaufbau“ verstärkt die Sucht, da das Belohnungssystem des Gehirns stärkere Reize verlangt.

Der Kreislauf schwächt jedoch nicht nur echte Beziehungen, sondern verändert die Wahrnehmung von Intimität nachhaltig.

Was Pornos den Partner:innen im echten Leben voraus haben, ist die schier unendliche Fülle, die man davon findet, sodass das sexuelle Interesse daran nicht abnehmen kann. Besonders bei Männern ist dies der Fall, weswegen man es auch den Coolidge-Effekt nennt. Sein Entdecker Calvin Coolidge stellte bei Experimenten fest, dass der „sexuelle Appetit” bei männlichen Ratten nach wiederholtem Geschlechtsverkehr mit demselben Weibchen rasch abnahm. Stand aber stets ein neues zur Verfügung, blieb die sexuelle Aktivität besteh-en.

Pornosucht: Ein jugendliches Problem?

Die Einprägung im Gehirn verstärkt sich weiter, wenn bereits in frühen Jahren Kontakt mit Pornos gemacht wird. Das ist heutzutage einfacher denn je. In unserem Internetzeitalter sind Kinder und Jugendliche sehr früh mit pornographischen Inhalt-en konfrontiert und orientieren nicht selten ihr eigenes Selbstbild daran. Das betrifft nicht nur die sexuellen Handlungen, sondern auch die Darstellungen von Intimität und Körperlichkeit.

Bereits in der Volksschule werden Kinder „Dank” Internet und Einfluss von anderen Gleichaltrigen auf pornografische Inhalte aufmerksam. Laut Studien sind es über 40 % der 12jährigen, die bereits auf diesem Weg „aufgeklärt” wurden. Diese frühe Exposition kann langfristig die neurobiologische Entwicklung des Gehirns prägen. Da Kinder primär durch Nachahmung lernen und Pornos selten Grenzen oder Konsens zeigen, ist eine umfassende Aufklärung entscheidend, um eine gesunde und respektvolle Vorstellung von Sexualität und intimen Beziehungen zu fördern.

A real „brain-fuck“

Pornokonsum wirkt direkt auf das Belohnungssystem. Dabei löst jeder Konsum einen Dopamin-Kick aus, der mit der Zeit nach intensiveren Reizen verlangt, um dieselbe Befriedigung erzielen zu können. Studien zeigen, dass der „High“-Effekt nach einem Porno dem von Heroin ähnelt und langfristig das Gehirn verändert. So geraten Betroffene in eine Spirale der Abhängigkeit, die ähnliche Muster wie andere Suchterkrankungen aufweist und schließlich zur Pornosucht wird.

Genauso wie Sex können Pornos die Ausschüttung von Oxytocin und Vasopressin auslösen. Was umgangssprachlich als „Kuschelhormon” tituliert wird, wurde von der Natur dazu konzipiert uns an den Partner zu binden. Für das Langzeitgedächtnis legt es Zellen an, die uns an das Objekt, das sexuelles Vergnügen bereitet hat, erinnern. Und da kommt dann Sex in real life mit den Darstellungen aus Pornos nicht mehr mit.

Was das heißt, fassen wir hier in (möglichen) Symptomen kurz zusammen, die auftreten können:

  • Impotenz / eigene:r Partner:in ist nicht mehr interessant
  • Angstzustände und Depressionen bei Entzug
  • sozialer Rückzug

Wann ist genug genug? Wann hat die Pornosucht die Regie des Lebens übernommen?

Übernimmt die Fantasie im Alltag Regie, denkt man nur noch an „das Eine” und verbringt damit gar mehr Zeit als echte soziale Beziehungen zu pflegen, kann man von Sucht sprechen. Diese Definition ist auch im Diagnostik-Buch der WHO, dem ICD-11, verzeichnet. „Es gibt definitiv einen Kontrollverlust, eine Obsession mit negativen Auswirkungen für das eigene Leben”, so Psychotherapeut Dr. Robert Weiss, „Manche Menschen haben mit dem Konsum von Pornografie zu kämpfen, genauso wie andere mit Alkohol und Suchtmitteln zu kämpfen haben.”

„Wir haben eine Menge pornogeschädigte Männer und Jungen. Sie haben eine verdrehte Vorstellung, wie sie ihre Sexualität vermitteln sollen”

Thordis Elva, NORDREF

Auch das Versenden von Dickpics stehe in engem Zusammenhang damit. Die Nordic Digital Rights and Equality Foundation (NORDREF) untersuchte die Motive von Tätern in einem Untersuchungszeitraum von 2019 bis 2022, die unaufgefordert Fotos ihrer Genitalien über das Internet versendeten und damit in den Fokus von Strafverfolgungsbehörden kamen.

pornosucht

„Wir haben eine Menge pornogeschädigte Männer und Jungen. Sie haben eine verdrehte Vorstellung, wie sie ihre Sexualität vermitteln sollen”, so Thordis Elva, Vorsitzender von NORDREF. Die Täter erwarteten sich nämlich im Gegenzug Nacktfotos bzw. Komplimente. Einholung von Konsens vor der Handlung? Auch hier Fehlanzeige.

Wie sehr die Sucht das tägliche Leben beeinflusst, zeigte 2014 auch eine Studie der Universität Zürich, die mithilfe großer Datenmengen aus den USA nachwies, dass der Pornokonsum mit einer höheren Scheidungswahrscheinlichkeit einhergehe. Dieser sei sowohl bei Männern als auch Frauen das größte Indiz für eine außereheliche Affäre. Kein anderer Parameter, wie etwa Beziehungsdauer oder Kinderanzahl, korreliere so hoch mit einem potentiellen Ehebruch wie dieser.

Hinter den Kulissen der Pornoindustrie

Die milliardenschwere Porno-Industrie, die in den konservativen USA ihren Mittelpunkt hat, hat direkte Auswirkungen auf die Sexworker, die vor der Kamera immer extremere Performances liefern müssen, die oft grenzüberschreitende Szenen zeigen. Denn mit dem Anspruch wächst auch der Druck auf die Branche.

Darsteller:innen sehen sich häufig gezwungen, Rollen anzunehmen, die physisch und emotional belastend sind, um in der Branche weiter arbeiten zu können. Besonders weibliche Darsteller berichten, dass sie sich und ihre Sexualität nur noch als „Produkt“ dargestellt sehen, was ihr Selbstbild negativ beeinflusst. Ihre männlichen Kollegen leiden ebenfalls unter dem hohen Druck, immer und jederzeit funktionieren zu müssen.

Welche Auswirkungen die Industrie auf Darstellerinnen hat und in welchem Ausbeutungsverhältnissen sie oft landet, wird von der Organisation „Fight the new drug“ thematisiert.

Die körperlichen und psychischen Folgen sind erheblich: Der Dreh intensiver Szenen kann zu physischen Verletzungen und emotionaler Erschöpfung führen. Darüber hinaus sind die Anforderungen für viele in dieser schnelllebigen Branche, die nur wenig finanzielle Sicherheit bietet, schwer zu ertragen.
Nach wenigen Monaten sind viele ausgebrannt und mental geschwächt. Dazu kommt die gesellschaftliche Stigmatisierung, was es schwer macht, Hilfe zu finden und offen über Belastungen zu sprechen. Für die Industrie ist allerdings nicht schwierig Ersatz zu finden, da es viele als Traumjob sehen für Sex bezahlt zu werden.

Bye-bye, Pornosucht!

Doch zurück zu den Konsumierenden. Hier gibt es verschiedene Therapieansätze, um Betroffene zu unterstützen. Dazu zählen kognitive Verhaltenstherapien, Selbsthilfegruppen sowie Psychopharmaka, um begleitende Symptome wie Angstzustände oder Depressionen zu lindern.

Die Therapieansätze sollen besonders dort ansetzen, wo Ursachen für die Sucht liegen können. Diese zu erkennen, gesunde Verhaltensmuster zu ersetzen und zu entwickeln, ist das Ziel. Im Zentrum steht dabei die emotionale Regulierung sowie die Stabilisierung des inneren Sicherheitsgefühls und Selbstbewusstseins.

  • In Österreich sind es die Anonymen Sexsüchtigen, die sich mit dem Thema Pornosucht (Pornographieabhängigkeit) beschäftigen und Betroffenen durch Selbsthilfegruppen helfen können.
  • In Deutschland gibt es das Projekt Pornlos, das als erste Anlaufstelle Informationen und Hilfe bietet.
CURE Your PORN ADDICTION | A Doctors Guide to Breaking The Habit

Tabus brechen, Bewusstsein schaffen

Pornosucht sollte auch in der Öffentlichkeit als das erkannt und behandelt werden, das es ist: Ein ernstes Thema, das einen offenen Umgang braucht, um Betroffenen zu helfen. Dafür muss das Bewusstsein (schon in jungen Jahren) geschärft und ohne Tabus aufgeklärt werden.

Ein im Entwicklungsalter früh beginnender Dialog über das Verständnis von Sexualität und Intimität zwischen jungen Menschen und ihren Vertrauenspersonen ist ebenso wichtig, um pornographische Prägungen nicht unkommentiert zur Norm werden zu lassen. Dies soll es uns ermöglichen, gesündere und authentischere Beziehungen zu fördern, die auf Respekt und gegenseitigem Verständnis beruhen.

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