Livingston: Reisetagebuch eines Shootingstars – Interview mit dem Singer-Songwriter

In der Schule galt Drake Jon Livingston Jr. als typischer Außenseiter – heute wird der
amerikanische Sänger und Songwriter als vielversprechender Nachfolger auf den Pop-Thron von Harry Styles gehandelt.

Das texanische Denton ist eine typische College-Stadt im mittleren Süden der Vereinigten Staaten, wie sie wohl in jedem zweiten Stephen King-Roman zu finden ist. Abseits des Springbreak meistens ruhig und beschaulich und umgeben von diversen Seen mit so klangmalerischen Namen wie Lake Grapevine. Mit anderen Worten das perfekte Provinzparadies. Es sei denn, man ist irgendwie anders.

So wie Drake Livingston, der bereits als Teenager nur einen Gedanken hatte: Schnell weg von hier. Gemobbt von seinen Mitschüler:innen und verständnislosen Lehrer:innen flüchtet er sich früh in Videospiele und Fantasyfilme. Bis er irgendwann die Musik für sich entdeckt.

Inspiriert von Post Malone und 21 Pilots veröffentlicht der damals 17-Jährige seine erste
selbstproduzierte EP, die mittlerweile fast 100 Millionen Streams alleine auf Spotify verzeichnet. Nach seinem Umzug nach Los Angeles schreibt er mehr als 250 Songs, von denen es 14 auf sein im letzten Jahr veröffentlichtes Debütalbum „A Hometown Odyssey“ schafften, mit dem Livingston die vordersten Plätze der Streaming-Charts in seiner amerikanischen Heimat, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Australien enterte.

Gefolgt von einer ausverkauften Headlinertour durch Nordamerika und Europa, auf der der heute 22-Jährige seine Qualitäten als next big Stadion-Pop-Thing nochmal fett unterstrich. Gerade erschien das Album als um neun Bonustracks ergänzte Neuauflage – das vertonte Coming-Of-Age-Logbuch eines zukünftigen Superstars

Livingstone’s Debütalbum „A Hometown Odyssey“ (2024)

„A Hometown Odyssey“ beschreibt deine Reise zu Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Ein ganz schön harter Weg!

Livingston: Ein extrem harter Weg. Manche Menschen haben es leichter, andere schwerer. Ich gehöre definitiv zur letzten Gruppe. Meine Heimatstadt ist ein wirklich langweiliger Ort, an dem ich als Heranwachsender auch keine wirklichen Freunde hatte, mit denen ich mich austauschen konnte. Die Musik war schon immer eine Art Realitätsflucht für mich, die mir geholfen hat, mich und meine Gefühle besser einzuordnen. Also habe ich angefangen, meine Erlebnisse in diese Larger-Than-Life-Geschichten zu verpacken. Die Selbstfindungs-Odyssee von damals ist zwar mittlerweile vorbei, dafür habe ich nun die nächste Etappe auf meinem Weg begonnen. 

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Livingston | Foto: Universal Music International

Du schreibst sehr oft über diese Flucht in andere Welten, über die Suche nach Identität und Selbstbestätigung. Eine Art Therapie?

Livingston: Absolut. Meine Umwelt hat mich schon immer irgendwie irritiert, deshalb habe ich mich schon als Kind sehr in mich zurückgezogen und bin bis heute sehr introvertiert. Statt mich „ins echte Leben“ zu stürzen, bin ich in virtuelle Videospiele-Welten oder in Fantasy-Streifen abgetaucht. Diese Erfahrungen haben mir geholfen, meine Gefühle und Gedanken zu formulieren. Von Fans höre ich immer wieder, wie sehr sie sich mit dieser Denk- und Fühlweise identifizieren und wie froh sie sind, dass jemand endlich auch über diese introspektive Sicht spricht. 

Behind the Scenes: Livingston on Tour

In einem Interview hast du erzählt, du wärst schon von kleinauf irgendwie anders gewesen. Was hat dich von Gleichaltrigen unterschieden?

Livingston: Ich hatte seit jeher eine völlig andere Denkweise als alle anderen um mich herum. Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf Dinge zu konzentrieren, die mich nicht interessiert haben. Gleichzeitig war ich wie besessen von anderen Sachen, die viele Leute wohl als nerdy bezeichnen würden. Das führte dazu, dass ich nie richtig Anschluss gefunden habe und irgendwann gemobbt wurde. Die Musik ist meine Art, mich irgendwie zugehörig zu fühlen und mit anderen zu kommunizieren. Ich hatte schon immer eine blühende Phantasie, die ich auf „A Hometown Odyssey“ zum ersten Mal richtig umgesetzt habe. Und ich freue mich jetzt schon darauf, diesen Weg weiter zu gehen. 

Du bist jetzt schon unfassbar erfolgreich und hast gerade eine ausverkaufte Europa-Tour hinter dich gebracht. Wie fühlt sich das an?

Livingston: Unwirklich. Die Musik hat mir in der Highschool sprichwörtlich das Leben gerettet. Ich habe immer die Filmmusiken von Hans Zimmer geliebt; mit meinem ersten Album habe ich buchstäblich den Soundtrack zu meinem eigenen Leben veröffentlicht. Die ersten Songs entstanden damals in meinem Kinderzimmer in Denton. Sie heute auf der ganzen Welt zu spielen, fühlt sich absolut surreal an. 


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Mittlerweile bist du von Texas nach L.A. gezogen …

Livingston: Und trotzdem entstehen die meisten Songs immer noch auf meiner Couch. Um richtig in Songwriting-Stimmung zu kommen, ziehe ich nur eine andere Bettdecke drauf und fange an… Wenn ich Besuch bekomme, fragen mich die Leute ständig, ob es eine Couch oder ein Bett wäre. Ich antworte dann, dass es Schlafplatz und Aufnahmeraum in einem ist. Hier in Los Angeles habe ich ein paar Leute um mich herum, denen ihre Kunst ebenso viel bedeutet wie mir. Das ist sehr inspirierend. Zwar gehe ich immer noch nicht so oft raus, meistens nur zum Einkaufen oder ins Fitnessstudio. Aber versuche, mich so langsam aus meiner Comfort-Zone raus zu bewegen und offener im Umgang mit anderen zu werden. 

Wir leben in schwierigen Zeiten. Trotzdem dürfen wir nicht verlernen, uns an der Magie des Lebens zu erfreuen.“

– Livingston

Auf „A Hometown Odyssey“ ermutigst du auch andere, ihren ganz persönlichen Weg zu gehen.

Livingston: Früher habe ich versucht, irgendwie dazu zu gehören. Das hat mich nur noch einsamer gemacht. Aber Einsamkeit kann auch ein großer Antrieb sein. Die meisten großen Denker waren im Grunde zurückgezogene Persönlichkeiten. Mit der Musik habe ich etwas gefunden, das mich wirklich erfüllt. Jede:r sollte sich etwas suchen, das sie oder ihn glücklich macht. Egal, ob eine Kunstform, eine Leidenschaft für etwas oder ein Hobby. Etwas, in das man all seine Kreativität und Energie steckt und durch das man sich besser kennenlernt. 

Gehört dazu auch die Liebe?

Livingston: Natürlich! Beziehungen sind auch eine perfekte Inspirationsquelle fürs Songwriting. Ganz egal, ob man über Romantik oder Heartbreak spricht. Es ist dieses Spannungsfeld aus beidem. Manchmal denke ich an schwierige Zeiten zurück und wie schlecht es mir damals ging. Im nächsten Moment freue ich mich über den Song, in dem ich diese Gefühle verarbeitet habe. Die Musik kann einem zwar nicht den Schmerz nehmen, aber sie hilft einem, Dinge besser zu verstehen. Gefühle in Worte zu fassen, ist der Beginn eines gewissen Verarbeitungsprozesses. Er hilft, mit Dingen abzuschließen und einen Strich drunter zu machen. 

Eine Lektion, die du auch auf „A Hometown Odyssey“ weitergeben willst?

Livingston: Na klar! Gerade bei meinen Liveshows habe ich gesehen, wie sehr sich viele Fans mit meinen Texten identifizieren und dass sie ihnen helfen, mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen. Obwohl die Songs von mir handeln, geben sie anderen Menschen Hoffnung. Auf den Bonustracks der Neuauflage bin ich textlich so offen und direkt wie noch nie. So wie auf dem neuen Song „Look Mom I Can Fly“. Dieser Song soll das Feeling transportieren, nicht alles so schwer zu nehmen. Er hat etwas sehr Kindliches; nicht nur, weil wir mit dem renommierten Los Angeles Children`s Choir gearbeitet haben. Sie verleihen dem Lied etwas sehr Lebendiges. Wir leben in schwierigen Zeiten. Trotzdem dürfen wir nicht verlernen, uns an der Magie des Lebens zu erfreuen. Denn jede Odyssee findet auch irgendwann einmal ihr Ende.


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