Finneas: Exklusives Interview mit dem Mega-Star
Für unser EntreNous N°4 Magazin hat Musikjournalist und EntreNous-Contributor Thomas Clausen mit dem vierfachen Grammy- und zweifachen Oscar-Preisträger Finneas geplaudert. Der Bruder von Billie Eilish, der auch Produzent ihrer Alben ist, möchte „einfach nur Musik machen“ und steht gerne abseits des großen Blitzlichtgewitters, wenngleich ihm das wegen des gigantischen Erfolgs von Billie Eilish nicht so ganz gelingen mag. Lieber spricht er über sein neues Album.
Das Interview ist in unserer EntreNous N°4 erschienen. Sie ist im Handel und online erhältlich.
irgendwie unwirklich.
von Thomas Clausen
Als Co-Songwriter und Producer von milliardenfach gestreamten Megahits wie »Bad Guy« oder dem »Barbie«-Themesong »What Was I Made For?« ist Finneas ein Teil des wohl erfolgreichsten Geschwisterduos aller Zeiten. Als Solokünstler bewegt sich der ältere Bruder von Billie Eilish dagegen lieber etwas abseits des ganz großen Starrummels.
Zehn Grammys, zwei Oscars, zwei Golden Globes, drei Brit Awards und die surreale Anzahl von 694 Platin-Schallplatten, 235 Goldenen Schallplatten sowie 49 Diamant-Schallplatten für fast 150 Millionen verkaufte Tonträger – gemeinsam haben Finneas Baird O`Connell und seine fünf Jahre jüngere Schwester Billie Eilish der globalen Popkultur ihren Stempel aufgedrückt.
Was nur die Wenigsten wissen: Seit 2016 veröffentlicht der 27-Jährige auch Musik unter seinem eigenen Namen. Während er mit Billie kürzlich das nach eigenen Aussagen bisher persönlichste Album überhaupt veröffentlicht hat, präsentiert sich Finneas auf seinem gerade erschienenen zweiten Solowerk „For Cryin’ Out Loud!“ (Interscope/Universal Music) eher vage und uneindeutig.
EntreNous-Autor Thomas Clausen traf den amerikanischen Songwriter, Multiinstrumentalist, Produzent und Schauspieler zum Gespräch.
Statt in riesigen Konzertarenen spielst du unter deinem eigenen Namen in überschaubaren Venues und magst es auch sonst ein paar Nummern kleiner …
Ein Bekanntheitsgrad wie der von Billie wäre nichts für mich. Ich denke, das würde mich extrem in meiner Freiheit einschränken. Im Gegensatz zu ihr kann ich mich völlig ungestört an überlaufenen Plätzen wie dem Times Square in New York oder in irgendwelchen Malls in Los Angeles bewegen, ohne dass die Leute auch nur Notiz von mir nehmen. Mir ist nur wichtig, Musik zu machen und sie für meine Fans zu performen. Wenn das im Nebeneffekt mit ein wenig mehr Fame verbunden wäre als mir lieb ist, ginge das aber auch in Ordnung.
Dein Schaffen als Solokünstler unterscheidet sich sehr von dem mit deiner Schwester. Ein nötiger Ausgleich?
Ich muss zugeben, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht habe und kann nicht beurteilen, ob diese Balance tatsächlich so dringend nötig ist. Fakt ist, dass mir beides sehr viel Spaß macht. Und das ist doch die Hauptsache. Ich bin nicht sicher, ob sie es im Gegenzug ähnlich sehen würde, aber mich inspiriert die Arbeit mit Billie extrem. Mit ihr zu komponieren, ist ein ständiger Lernprozess, der meine eigenen Songs beeinflusst. Früher gab es gewisse Kriterien, nach denen ich entschieden habe, ob ich einen Song für mich, für Billie oder eine:n andere:n Künstler:in schreibe. Heute fällt es mir viel leichter, über die Verwendung zu entscheiden. Meine eigenen Stücke entstehen im Alleingang, alle anderen Lieder in Kollaboration mit der Person, für die der Song ist.
„Mir ist nur wichtig, Musik zu machen und sie für meine Fans zu performen.“
– Finneas
Nach deinem 2021 veröffentlichten Debütalbum „Optimist“ erschien gerade der Nachfolger „For Cryin’ Out Loud!“. Wo ist der Optimismus geblieben?
Beide Albumtitel sind eher ironisch gemeint, wie man auch durch das Ausrufezeichen erkennen kann. Es gibt Tage, an denen man einfach nur laut aufschreien will vor Frust oder Verzweiflung. Und es gibt andere Tage, an denen ich extrem optimistisch in die Zukunft sehe. Meine Laune hängt auch stark von den Menschen ab, mit denen ich mich umgebe und mit denen ich zu tun habe. Ich bin in der glücklichen Lage, wirklich tolle, inspirierende Menschen in meinem Umfeld zu haben, die Großartiges leisten. Gleichzeitig gibt es da draußen so viele Companies, Politiker:innen und Organisationen, die für furchtbare Dinge verantwortlich sind. Gerade die Rückkehr des Faschismus macht mir große Sorgen; ob bei uns in den USA, in Europa oder anderswo auf der Welt.
Gibt es trotzdem Hoffnung?
Natürlich. Mich inspirieren Menschen, die etwas bewegen und die sich für das Allgemeinwohl einsetzen. So wie meine Mutter zum Beispiel, die vor ein paar Jahren die Wohltätigkeitsorganisation Support + Feed gegründet hat. Sie setzt sich für die Versorgung Bedürftiger mit pflanzenbasiertem, klimafreundlichem Essen und eine gesunde Lebensweise ein. Das ist etwas, was mir sehr viel Hoffnung macht.
„Mich inspiriert die Arbeit mit Billie extrem. Mit ihr zu komponieren ist ein ständiger Lernprozess, der meine eigenen Songs beeinflusst.“
– Finneas
Auf deinem Longplay-Erstling fanden sich über-wiegend Balladen, auf „For Cryin` Out Loud!“ hast du diese intime Bedroom-Produktion gegen eine funky Band-Energie eingetauscht. Wodurch kam diese Entwicklung zustande?
Nachdem die Arbeiten am letzten Album mit meiner Schwester abgeschlossen waren, folgten direkt die Aufnahmen zur Filmmusik für die TV-Serie „Disclaimer“, an der ich mit einem anderen großartigen Musiker gearbeitet habe. Irgendwie hatte ich mich danach daran gewöhnt, nicht mehr alleine zu schreiben und fand die Idee nicht so prickelnd, mich für die Recordings meines zweiten Soloalbums wieder in einen einsamen, dunklen Raum zu verziehen. Also habe ich ein paar meiner engsten Musikerfreund:innen angerufen und sie gefragt, ob sie nicht Lust hätten, mit mir eine Platte aufzunehmen. Es hätte auch komplett schiefgehen können, hat aber unglaublich viel Spaß gemacht.
Hört man!
Danke schön! Ich bin echt stolz auf das neue Album. Alle Songs sind beim gemeinsamen Jammen entstanden. Jeder Track hat einen anderen Vibe; die Platte lebt definitiv von den verschiedenen Ideen der einzelnen Player. Wir haben im Vorfeld ein wenig über unsere musikalischen Ideen gesprochen und es dann fließen lassen.
Deine Schwester hat die neuen Songs als „vertonte Erinnerungen“ beschrieben. Tatsächlich haben Stücke wie „Family Feud“ etwas sehr Nostalgisches …
Der Plan war, eine musikalische Sprache zu finden, die irgendwie in der Vergangenheit verwurzelt ist. Und das, obwohl ich mich überhaupt nicht als Nostalgiker bezeichnen würde – was den Umstand, dass ich sehr nostalgische Songs schreibe, wohl nur noch seltsamer macht. „Family Feud“ entstand ungefähr eine Woche, nachdem wir den zweiten Oscar bekommen hatten. Der Text handelt von meinem Verhältnis zu Billie und wie die Zeit vergeht, während man zusammen aufwächst. Was man alles erlebt und dass man für immer ein Teil des anderen sein wird. Rückblickend haben wir echt verrücktes Zeug erlebt. Wir hätten nie für möglich gehalten, auch nur einen einzigen Oscar zu bekommen. Heute haben wir gleich zwei. Manchmal kommt mir mein Leben irgendwie unwirklich vor.
Ein diffuses Gefühl, von dem du auch auf dem Stück „Little Window“ erzählst, das den Umgang mit den Sozialen Medien und dem Internet thematisiert.
Es geht um die Vor- und Nachteile, wenn man durch dieses „kleine Fenster“ schaut. Oft möchte man sich auf dem Handy einfach nur über gewisse Dinge informieren, die in der Welt vor sich gehen. Stattdessen wird man sofort von allen Seiten mit irgendwelchen Katastrophennachrichten geflutet. Ich muss zugeben, dass ich ein echter Doomscroller bin und mich immer öfter darin verliere, wie ich von einer apokalyptischen Nachricht zur nächsten scrolle. Mir ist bewusst, dass es nicht gesund ist, doch man kann einfach nicht anders.
„Rückblickend haben wir echt verrücktes Zeug erlebt. Wir hätten nie für möglich gehalten, auch nur einen einzigen Oscar zu bekommen.“
– Finneas
Kunst ist bekanntlich immer eine Art der Selbstbespiegelung. Was hast du während der Arbeiten am neuen Album über dich gelernt?
Ich bin Realist und sehe die Welt in meinen Songs nicht durch die rosarote Brille. Dadurch ist mir klar geworden, wie verletzlich ich bin. Nicht, dass ich jemals überzeugt war, eine Rüstung mit mir herumzutragen. Doch tatsächlich sind mir beim Songwriting zwischendurch die Tränen gekommen. Eine ziemlich tiefgreifende Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Ich habe die neuen Songs auch schon ein paar Mal live gespielt und es hat sich sehr befreiend angefühlt, sich so angreifbar zu machen.
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