Christian Klinger: Die Liebenden von der Piazza Oberdan
Christian Klinger. 6. April 1945: Pino Robusti wurde an diesem Tag im KZ Risiera di San Sabba ermordet. In seinem ersten Literaturroman beleuchtet Christian Klinger das Leben und Schicksal des Opfers und verwandelt es in eine bewegende Familiensaga aus Triest in der Zwischenkriegszeit.
Klinger: Epochenroman zwischen Liebe und Überleben
Christian Klinger kombiniert sein Interesse an historischen Schicksalen mit seiner Begeisterung für Triest in einem eindringlichen Epochenroman. Die Piazza Oberdan bildet den zentralen Treffpunkt für die Figuren Vittorio, Elisa, Pino und Laura, während Klinger Triest als lebendige Kulisse nutzt. Seine präzisen und respektvollen Darstellungen der Weltkriege und der Zwischenkriegszeit schaffen ein umfassendes Bild der historischen und persönlichen Entwicklungen.
Jugendliches Aufbegehren, Mut, Leidenschaft und vor allem bedingungsloses Lieben“
– Christian Klinger
Die Verbindung von Geschichte und Literatur: Das Interview
Pino basiert auf einer realen Person. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Christian Klinger: In einem außergewöhnlichen Reiseführer von Mauro Covacich („Triest verkehrt“) erzählt er bei der Beschreibung der Piazza Oberdan und der dortigen Statue von Mascherini das traurige Schicksal von Pino, der, nur weil er dort auf seine Verlobte wartet, verhaftet und letztlich ermordet wird.
Was war Ihr Ansporn, Pinos Geschichte aufzuschreiben?
CK: Pino Robusti hat in der Gedenkstätte Risiera eine eigene Gedenktafel. Mein Interesse an seinem Leben wuchs, aber ich fand kein Buch über ihn. Daher entschloss ich mich, selbst ein Buch zu schreiben, um Pino eine Stimme zu geben und ihn lebendig werden zu lassen. Dabei war mir bewusst, dass es nur ein Versuch ist, seine Geschichte aus den wenigen verfügbaren Informationen zu rekonstruieren. Es war schmerzhaft und zugleich interessant, dass viele Triestiner, egal welchen Alters, Pino nicht kannten und nichts über ihn wussten.
Wie kam es zur Idee, die Geschichte des Vaters ebenfalls mit einfließen zu lassen?
CK: Triest erlebte in den betreffenden Generationen einen enormen Wandel: Nach sechshundert Jahren Habsburgerherrschaft wurde die Stadt Teil Italiens, und eine Monarchie wurde durch eine andere ersetzt. Bald darauf brachte der Faschismus eine Unterdrückung der nationalen Diversität, wobei besonders Slawen und Juden betroffen waren. Diese Konflikte hatten ihre Wurzeln bereits in der k.u.k. Monarchie, wo verschiedene Gruppen – von kaisertreuen Slawen bis zu italienischen Irredentisten und der deutschen Oberschicht – um Einfluss rangen. Während einige die Vorteile der Freihafenstadt schätzten, blieben viele Einwohner, unabhängig von ihrer Ethnie, politisch indifferent, da sie sich auf den täglichen Überlebenskampf konzentrierten.
Die Vater-Sohn-Beziehung zeichnen Sie grundsätzlich harmonisch?
CK: Ja, aber ist da noch der Konflikt zwischen den beiden Männern, was die Studienwahl betrifft und die Anspielung an das eigene jugendliche Auflehnen des Vaters, was aber reine Fiktion ist, dazu fanden sich keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Schon Pinos Vater war Architekt. Hier habe ich also bewusst in die Faktenlage eingegriffen. Aber vielleicht hatten sie eine ähnliche Diskussion wie in meinem Buch geführt, weil Pino womöglich Jus anstelle von Architektur studieren wollte?
Wie hat sich die Recherche für das Buch gestaltet?
CK: Die Recherche war langwierig, aber faszinierend. Ich wollte kein wissenschaftliches Werk schaffen, sondern das Leben und die Entwicklung Triests darstellen. Neben Internetquellen und Fachliteratur zur Risiera nutzte ich auch Antiquariate und fand wichtige Reiseführer über willhaben.at. Besonders inspirierend waren alte Fotos aus einer Facebook-Gruppe. Wichtig war mir auch der Aufenthalt vor Ort, um die Stätten direkt zu erleben. Ich versuchte auch, Nachfahren von Pino zu finden, stieß jedoch aufgrund eines Eigentümerwechsels in den 70er Jahren auf keine weiteren Spuren.
Sie haben selbst einen Wohnsitz in Triest. Was fasziniert Sie besonders an der Stadt?
CK: Viele vergleichen Triest mit Wien, nur dass es am Meer liegt. Das Meer hat einen einzigartigen Reiz, der bei längerer Abwesenheit spürbar fehlt, wie in den Corona-Zeiten. Mein erster Besuch war enttäuschend; die Stadt entsprach nicht meinen Erwartungen an italienischen Charme. Doch ich kehrte zurück und entdeckte hinter einer rauen Fassade immer mehr faszinierende Details. Triest offenbart sich nicht sofort, sondern entwickelt sich langsam, wie eine Beziehung, die Zeit braucht, um zu wachsen. Diese Stadt fordert eine tiefere Verbindung und belohnt Geduld mit einer lebenslangen Beziehung.
Gibt es Unterschiede in der Herangehensweise und Ihrem Schreibstil bei Spannungs- bzw. Literaturromanen?
CK: Ich denke, dass hier eine strikte Grenzziehung zwischen diesen Gattungen gar nicht mehr so einfach ist, da die Unterscheidungslinien mittlerweile sehr brüchig geworden sind. Ich meine, die verschiedenen Genres in der Literatur verschwimmen zusehends und das Vorurteil, wonach Spannungsromane sprachlich eine geringere Qualität aufweisen würden, kann in vielen Fällen heute nicht mehr behauptet werden. Aber natürlich ist es schon so, dass beim Spannungsroman der/die Leser/in eher durch die Handlung, und beim Literaturroman eher durch die Sprache vorwärtsgetrieben wird. Optimal finde ich eine Kombination aus beidem, und das ist derzeit für mich auch in beiden Bereichen oft der Fall. Ich selbst versuche einer Geschichte jene Sprache angedeihen zu lassen, die es braucht, um sie gut zu erzählen.
Über Christian Klinger
Christian Klinger, geboren 1966 in Wien, Studium der Rechtswissenschaften. Seit 2017 Zweitwohnsitz in Triest. Er veröffentlichte zahlreiche Krimis und Beiträge in Anthologien, erhielt den Luitpolt-Stern-örderungspreis und war auf der Auswahlliste des Agatha-Christie-Krimipreises (2011).
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