AND JUST LIKE THAT … Warum wir etwas besseres als Carrie Bradshaw verdienen
Ivana Novoselac ist als Madame Faction bekannt, sie ist Kunsthistorikerin und veranstaltet seit neuestem auch glamouröse Reisen für Mode-Afficionados nach London mit den FACTION DAYS. In ihrer ersten Kolumne erzählt sie über die emotionale Bauchlandung, die AND JUST LIKE THAT für einen SEX AND THE CITY Fan (wie sie es ist) hingelegt hat.
Spoiler-Alert: In diesem Artikel werden Details aus der 2. Staffel AND JUST LIKE THAT besprochen.
Ich habe SEX AND THE CITY unzählige Male gesehen und geliebt. Beim letzten
Rewatch kurz vor AND JUST LIKE THAT machten sich allerdings Kritik und Wut bei mir
breit: Dahin war mein Enthusiasmus für jeden Bullshit, den die Ladies verzapften, vorbei
meine Verehrung für das Carrie-Versum. Übrig blieb nur die Lust an den Outfits.
AND JUST LIKE THAT schaute ich mir natürlich trotzdem an.
Doch Achtung: Dies ist keine Kritik, die „Altes“ durch eine „neue Brille“ betrachtet. Es
ist nicht mein Stil, Figuren aus den 90ern dafür zu verdammen, dass sie nicht der
Gegenwart entsprechen. Nein.
Doch wie feministisch ist Carrie Bradshaw, „unsere“ Heldin? Wie sehen ihre „Sex-pectations“ aus? Und taugt sie als vielverehrte Ikone?
CARRIE BRADSHAW: ONE TO RULE THEM ALL
Alles begann 1998 mit vier sehr unterschiedlichen Frauen. Und wir alle fragten uns
jahrelang: Bin ich die sexbesessene Karrierefrau Samantha? Die zynische, emanzipierte Anwältin Miranda? Die hyperkonservative, ehe-versessene Charlotte oder die liebeshungrige Fashionista und Sex-Kolumnistin Carrie?
Sie waren alle toll – aber seien wir mal ehrlich: Irgendwie wollten wir alle Carrie sein, oder? Carrie war DAS stylishe und geistreiche New Yorker Single-Girl, immer auf der Suche nach DER großen Liebe – so wie wir alle, die wir uns vor 25 Jahren der Sehnsucht nach Liebe(-sabenteuern) hingaben.
DIVERSITY UPGRADE IN AND JUST LIKE THAT
An der Schwelle zu AND JUST LIKE THAT kam dem Franchise Kim Catrall aus
vielfachen Gründen abhanden (welch Schande!). Hinzugekommen sind dafür vier
weitere Figuren: Immobilienmaklerin Seema Patel, Regisseurin Lisa Todd Wexley,
non-binary Stand-Up Comedien:ne Che Diaz und Columbia-Professorin Dr. Nya
Wallace.
Sie alle sollten die bisher fehlende Diversität von SEX AND THE CITY wettmachen. Vor allem die Geschichte von Che (und Miranda) drängt sich immer wieder auf – wobei sie ausgesprochen plakativ geschrieben und der Cringe-Faktor dabei leider besonders hoch ist. Was für eine verpasste Gelegenheit, eine echte LGBTQI+ Ikone zu erschaffen!
Doch die einzelnen Mikro-Stories der zahlreichen Figuren spielen sich an den Rändern des Main Plots ab: Wieder einmal geht es hauptsächlich um Carrie und – in 21 Folgen (!) – um eine ihrer zwei großen Lieben.
Während BIG gleich in der ersten Staffel stirbt, kehrt Aidan in der zweiten zurück. Wie ein unreifer Teenager schreibt Carrie ihm nämlich aus heiterem Himmel eine E-Mail – und startet diesen unseligen Loop ein weiteres Mal.
ÜBER CARRIE BRADSHAW
Nun, eine muss es sagen und ich mache es gern: Carrie Bradshaw ist eine einzige Katastrophe. Acht Staffeln und zwei Filme lang beweist sie es am laufenden Band: Sie ist nichts davon, wofür sie gefeiert wird, und alles, was keine von uns sein sollte.
Wenn man sie betrachtet, wenn man all die Kommentare, die Outfits und die eigenen Teenager-Träume von der Suche nach der ‚wahren‘ Liebe weglässt, entpuppt sich Carrie als eine verachtenswerte Figur. Eine selbstzerstörerische, unentschlossene
und unreife Frau, eine prüde Kolumnistin und obendrein eine schreckliche Freundin.
Darüber können keine Manolos dieser Welt hinwegtäuschen.
Doch von Anfang an.
DIE MÄNNER UND IHRE CARRIE
Bradshaw ist eine von ihren eigenen Unsicherheiten zerfressene Person, die JEDE
Stimmung und JEDE ihrer Lebensentscheidung von Männern – BIG, Aidan oder
auch Petrovsky – abhängig macht. Dass sie dies als 20- oder 30-jährige Frau tut,
kann ich ja manchmal noch verständnisvoll abnicken. Dass sie als 56-jährige nach
zehn Jahren glücklicher Ehe fragt, ob BIG ein Fehler war und dann ihre kultige
Wohnung, das Herzstück ihres individuellen Lebens und Glücks, verkauft, weil Aidan
zu unsicher ist, einen Fuß hineinzusetzen, ist schier unglaublich.
Darüber hinaus ist Bradshaw eine furchtbare Freundin. Entweder sie verurteilt jede
ihrer Weggefährtinnen nach ihrem eigenen durch und durch konservativen
Wertekatalog (frau denke nur an ihre pikierte Reaktion auf Samantha „blowing the
UPS courrier“). Oder aber sie stellt sich selbst über alles und jede andere. Es ist zum
Beispiel nicht wichtig, dass Miranda Steve völlig überraschend mit einer non-binary
Person mitten am helllichten Tag betrügt (!). Nein, es ist viel wichtiger, dass Carrie
deswegen nicht zur Toilette gehen kann.
Keine Spur von Selbstironie oder Humor (die Szene war doch eigentlich ein BRÜLLER!) oder Empathie für eine völlig hingerissene Freundin, die nicht weiß, wie ihr gerade geschieht.
PROUD OR PRUDE?
Zuletzt ist Carrie die prüdeste Sex-Kolumnistin, die wir uns wohl vorstellen können.
Ihre Kolumne und späterer Podcast heißen zwar SEX AND THE CITY. Doch eigentlich geht es in jenen nur um die Suche nach der großen Liebe einerseits und um ihre unglaublich prüden Vorlieben andererseits.
Denn immer wenn etwas Carries konservativer sowie heteronormativer Sexualität nicht entspricht, ist sie peinlich berührt oder versucht sogar jemandem das Wort zu verbieten.
Sie fragt sich, „ob es Bisexualität überhaupt gibt“, ist pikiert, wenn sie einen Dildo in der Öffentlichkeit sieht, oder unter Freund:innen über „Pegging“ gesprochen wird. Das ist erbärmlich – egal ob 1998 oder 2023.
Aber versteht mich nicht falsch: Ich bin bei meiner Analyse nicht auf der Suche nach
einem perfekten Vorbild. Es ist nichts dabei, sich nach Liebe zu sehnen, unsicher zu
sein oder seine Meinung zu ändern – damit habe ich kein Problem. Aber ich erwarte
von einer gehypten Ikone der letzten Jahrzehnte, dass sie eine Vision hat. Eine kämpferische Einstellung zu sich selbst und ihren Träumen – wie auch immer diese Träume aussehen mögen.
Ich erwarte, dass diese Hauptfigur die Leading Role in ihrem Leben innehat. Was ich sehe, wenn ich Carrie Bradshaw betrachte, ist permanent selbstverursachtes Leid, Eifersucht, Rückgratlosigkeit, Neid, Verantwortungslosigkeit – und obendrein ein fieser Charakter.
STOP THE CARRIE-VERSE
Ich weiß, dies sind die Worte eines bitteren SATC-Fans. Dies sind aber auch die
Schlussfolgerungen einer Frau, die genug hat vom Bullshit des Carrie-Versums. Die
kein Outfit dieser Welt mehr über Carries unterirdischen Charakter und ihre einfallslose Geschichte hinwegtrösten kann. Ich brauche keine weiteren Manolos oder Tutus.
Ich brauche keine Diversity-Pflaster oder Marketing-Slogans. Ich will gut geschriebene Frauenfiguren mit Charakter sehen. Frauen, die wissen, was sie wollen und es sich holen. Und ich bin der Meinung, dass wir das alle verdient haben.
Wir haben es verdient, visionäre Vorbilder zu bekommen. Und nicht nur unreife Fashionistas, die uns zum Shoppen verleiten.
In der neuesten Episode des „EntreNous Podcast mit Mio & Maria“ wird übrigens auch über AND JUST LIKE THAT gesprochen. Soll Carrie die Finger von Aiden lassen? Warum hassen alle Che? … All diese Fragen stellen sich Stylist und Journalist Mio Paternoß und EntreNous-Chefredakteurin Maria Ratzinger.
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