Interview: Robert Stadlober treibt sich Goebbels mit Tucholsky aus
Robert Stadlober sitzt auf dem Balkon einer Altbauwohnung im Herzen von Berlin-Neukölln.
Luftlinie gar nicht so weit entfernt von seiner ehemaligen Wohnung am östlichen Rand von Kreuzberg, wo der heute 42-Jährige als Teenager mit Deutschpunk und Indie-Rock sozialisiert wurde. Neben seiner Schauspielerei hat der gebürtige Österreicher auch schon immer selbst Musik gemacht, die im Vergleich zu seinen Leinwanderfolgen mit „Sonnenallee“, „Krabat“ oder „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ eher unter dem Radar lief.
Während er gleichzeitig als Joseph Goebbels im Kino zu sehen war, erschien Ende August sein von einem Prosaband begleitetes Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“, auf dem sich Stadlober dem Werk Kurt Tucholskys widmet und mit dem er am 2. (im rhiz) und 6. November (im Café 7*Stern) live in Wien zu erleben ist. Ein Balkongespräch über Selbstreinigung, die heilende Kraft neuer Gitarren und die Suche nach einer besseren Welt.
Unsere erste Begegnung fand während eines Konzerts der Einstürzenden Neubauten in Berlin statt. Offenbar hast du ein besonderes Verhältnis zu ungewöhnlichen Formen der deutschen Sprache!
Robert Stadlober: Blixa Bargeld und die Einstürzenden Neubauten haben mit Sicherheit mein Faible für den etwas ungewöhnlicheren Umgang mit der deutschen Sprache geprägt. Aber ehrlicherweise hat bei mir alles mit Rio Reiser begonnen; so wie bei den meisten jungen Menschen, die sich mit den Möglichkeiten einer anderen, einer besseren Welt beschäftigen und dann relativ schnell auf Ton, Steine Scherben treffen. Ich glaube, ich war 14, als ich Rios Biographie gelesen und daraus so einiges für mein Leben abgeleitet habe. Darunter auch viel Unvernünftiges …
Welche Bedeutung hatte das Aufwachsen in Berlin für deinen künstlerischen Weg?
Robert Stadlober: Berlin ist meine Heimatstadt und war sehr lange mein Zuhause. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe hier meine ersten Freundschaften geschlossen und meine ersten Lieben erlebt – und auch meine ersten großen Momente des Scheiterns. Und nicht zuletzt habe ich diese Stadt erlebt in einem sich neu sortierenden Deutschland. In einer komplett utopischen Blase der ersten Jahre nach dem Fall der Mauer, aus der ich viel mitgenommen habe. Gerade in der Anfangszeit haben sich plötzlich Möglichkeiten ergeben, die es heute so nicht mehr gibt. Damals hatte ich das Gefühl, dass mein Leben richtig anfangen würde. Ich bin mit 15 von Zuhause ausgezogen und hatte eine Wohnung in Kreuzberg. Genauer gesagt in der Grimmstraße, die damals noch keine Flaniermeile war. Im Grunde war es dort ziemlich öde; ich wusste aber, dass Rio um die Ecke gewohnt und die Band rund um den Mariannenplatz abgehangen hat.
„Je diversifizierter das Wissen der Menschen um die Welt und ihre eigene Kraft ist, desto gefährlicher wird das Publikum für die Mächtigen.“
– Robert Stadlober
Heute bist du allerdings wieder Österreich zuhause. Flucht oder natürlicher Ortswechsel
Robert Stadlober: Ich komme von einem kleinen Berg in Kärnten, wo ich meine ersten Kindheitsjahre verbracht habe. Mit 6 bin ich nach Berlin gekommen und wohne momentan wieder in Wien. Doch schon vor meinem Umzug bin ich immer wieder rumgekommen und habe lange in Hamburg oder Barcelona gelebt. Flucht ist ein großes Wort; der profane Grund für Wien ist die Schulpflicht unserer Tochter. Und der Umstand, nochmal einen kleinen Tapetenwechsel dazwischen zu schieben. Außerdem muss man auch sagen, dass sich Berlin in den letzten Jahren sehr verändert hat. Nicht immer nur zum Besseren.
2018 hast du Kurt Weill in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ verkörpert, vor wenigen Monaten warst du in dem TV-Mehrteiler „Kafka“ zu erleben und widmest dich jetzt dem Schaffen Kurt Tucholskys. Was macht dein Interesse an den Schriftstellern des beginnenden 20. Jahrhunderts aus?
Robert Stadlober: Mich faszinieren generell die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts; besonders natürlich, was in dieser Zeit in Europa passiert ist. Das Großartige genauso wie das Grausame. Tucholsky fasst diesen Widerspruch für mich am besten zusammen. Nach der Katastrophe des 1. Weltkrieges hat sich den Menschen die Möglichkeit eines völlig neuen Zusammenlebens geboten. Etwas, was wenig später von den Nazis kaputt getrampelt wurde. Nichtsdestotrotz haben die Ideen von damals überlebt und prägen uns bis heute. Selbst wenn uns das sehr oft gar nicht so klar ist. Meine Leidenschaft ist es, diese Ideen und Gedanken wieder rauszuholen, ins Heute zu transportieren und aufzuzeigen, dass wir uns in einer Kontinuität befinden. Dass wir ein schönes Erbe forttragen, das man benutzen kann, um mit den Schrecknissen der Gegenwart umzugehen.
In den 1920er Jahren herrschte in Berlin eine ähnliche Aufbruchsstimmung wie kurz nach dem Mauerfall – ein weiterer Reiz für dich?
Robert Stadlober: Absolut. Nach dem 1. Weltkrieg gab es einen kompletten Reset. Viele Leute dachten, so etwas könne nie wieder passieren und es würde jetzt um die Menschen gehen, statt gegen sie. Dass es fünfzehn Jahre später wieder abwärts gehen würde, haben nur die wenigsten geahnt. Die Anfänge der 1930er Jahre lassen sich dafür sehr gut mit unseren Zeiten vergleichen. Vielleicht sind die Zeiten aber auch immer irgendwie ähnlich und jede Generation hat ihre eigenen Kämpfe und Katastrophen zu überstehen. Unser Kampf ist heute ein ähnlicher wie Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre. Zum Glück wird er nicht so brutal wie damals geführt. Wobei es an uns ist, diese Brutalität zu verhindern. Kurt Tucholsky hat sehr früh vor dem Erstarken des Nationalsozialismus gewarnt. Auch das könnte heute aktueller nicht sein.
Ich mache mir auch Sorgen, habe aber ein bisschen Angst vor der zu großen Sorge. Man hat das Gefühl, um einen herum würden nur schreckliche Dinge passieren. Was auch stimmt – aber es passieren auch wirklich tolle Dinge! Dinge, die einer wie Tucholsky auch schon immer gesehen hat. Das Schöne an seinen Texten ist der Kampf gegen jegliche Verengung von Meinungen. Selbst in linken oder liberalen Kreisen ging es ihm immer um das Nebeneinander verschiedener Sichtweisen. Er wollte auf dem Ku’damm flanieren und mit allen politischen Lagern ein Likörchen trinken; außer der NSDAP. Heute sieht man, dass sich die Diskurse total verengen; ein falsches Wort und man ist direkt auf der falschen Seite, mit der nicht mehr geredet, sondern aus allen Ecken nur noch angebrüllt wird. Tucholsky hat immer nach einer besseren Welt gesucht, bevor er dann irgendwann die Waffen gestreckt und sich umgebracht hat. Eine Erkenntnis aus der Arbeit an diesem Album war, mehr Zuversicht zu haben. Und sich an der Diversität des Menschseins zu erfreuen.
Kürzlich warst du in dem preisgekrönten Biopic „Führer und Verführer“ als Joseph Goebbels zu sehen. Ist die Beschäftigung mit Tucholsky der Exorzismus vom Nazi-Ungeist? Die Selbstreinwaschung nach der Selbstbefleckung?
Robert Stadlober: Tatsächlich musste ich Goebbels und seine ekelhaften Gedanken loswerden. Tucholsky war in diesem Fall definitiv die beste kalte Dusche. Nach den Dreharbeiten zu „Führer und Verführer“ wurde mir auf einem Festival angeboten, einen Tucholsky-Abend zu machen. Ich war erst skeptisch, weil viele Schauspieler:innen im mittleren Lebensabschnitt irgendwann so einen Abend veranstalten und habe wirklich daran gezweifelt, etwas Passendes in seinem Werk für mich zu finden. Den letztendlichen Ausschlag für meine Zusage gab dann aber meine neue Gitarre, aus der in Verbindung mit seinen Texten so viele Ideen geflossen sind, dass auf einmal eine ganze Platte plus Prosaband fertig waren. Auf diesem Leseabend ist mir dann aufgefallen, dass selbst so unterschiedliche Gruppen wie ältere CDU-Wähler, konservative Grüne und ein paar Jüngere über Tucholsky ins Gespräch kamen. Für mich die Chance, den Leuten in diesem bürgerlichen Rahmen Ideen unterzujubeln, mit denen sie vielleicht gar nicht gerechnet haben! [lacht]
Gab es auch Reibung bei der Beschäftigung mit seinem Werk?
Robert Stadlober: Ganz automatisch. Alleine dadurch, dass er zusätzlich zu seinem echten Namen unter vier verschiedenen Pseudonymen schrieb, die jeweils ihren ganz eigenen Stil und Gedanken hatten, deckt sein Schaffen eine extrem breite Palette ab, mit der er manchmal sogar eine gewisse Reibung inszenierte. Am schwierigsten ist sicher mit seinem vehementen Pazifismus umzugehen, der in unserer Zeit schwer durchzuhalten ist. Wir haben heute die Erfahrung mit den Gräueltaten des 2. Weltkrieges, den Tucholsky nicht mehr miterlebt hat. Damals wäre man mit seinem Pazifismus nicht sehr weit gekommen.
Auf dem Album vertonst du neben dem bittersüßen „Augen in der Großstadt“ oder dem kritischen „Nationale Verteidigung“ den Text „An das Publikum“, der von der Verflachung der Kultur handelt. Ebenfalls etwas, was im Hinblick auf Reality-TV-Formate und Co. heute so aktuell wie damals ist …
Robert Stadlober: Der Text vereint das Publikum gegen die großen Medienkonzerne, die die Inhalte bestimmen und die ihm diesen Einheitsfraß in TV, Zeitungen und sonstigen Medien vorsetzen. Ich glaube nicht, dass das Publikum tatsächlich so dumm ist, wie die meisten Leute denken. Es hat nur größtenteils andere Dinge zu tun, als die Perlen zwischen den Säuen rauszufischen. Es wird immer schwieriger, die richtigen Platten, die richtigen Filme, die richtigen Bücher zu finden. Sarkastisch ausgedrückt ist es einfacher, sich als Plattenfirma auf eine doofe Platte zu einigen, als sich auf fünfzehn verschiedene Künstler:innen zu konzentrieren, die wirklich gute Musik machen. Es macht mich oft sauer, wie limitiert der Horizont von Entscheidern ist, die darüber bestimmen, was dem Publikum vorgesetzt wird. Die Leute verstehen wesentlich mehr, als man ihnen zugesteht. Doch kulturelle Bildung ist und war schon immer ein Herrschaftsinstrument. Je diversifizierter das Wissen der
Menschen um die Welt und ihre eigene Kraft ist, desto gefährlicher wird das Publikum für die Mächtigen.
Du bist für einen gewissen Anspruch bekannt, nach dem du deine Projekte aussuchst. Schon mit deiner ersten Band Gary hast du dich geweigert, dich kommerziellen Mechaniken zu unterwerfen.
Robert Stadlober: Irgendwann wurden wir von der großartigen Band Tocotronic überzeugt, einen Plattenvertrag bei einem gewissen Label zu unterschreiben. Dirk [von Lowtzow] meinte, es wäre dort ganz okay… Allerdings entwickelte sich alles zu einer wirklich katastrophalen Erfahrung. Für uns persönlich war es eine tolle Zeit, weil wir jung waren und komplett absurdes Zeug erlebt haben. Doch für unsere Musik war dieses Label, auf dem auch Acts wie Britney Spears und irgendwelche US-Boybands waren, der völlig falsche Ort. Irgendwann waren wir bei „VIVA interaktiv“ zu Gast, wo wir aus Protest unsere damals aktuelle Single in halber Geschwindigkeit gespielt haben, gefolgt von einem Song, der gar nicht auf der Platte war. Man kann sich vorstellen, dass wir danach einen gigantischen Einlauf aus der Chefetage unserer Plattenfirma bekommen haben.
Wonach suchst du, wenn du Rollen oder Projekte wie „Wenn wir einmal…“ annimmst?
Robert Stadlober: Ich habe den Anspruch, meine Lebenszeit mit Dingen zu verbringen, die mir Freude bereiten. Ich mache nichts, um irgendwas damit zu erreichen, aus irgendwelchen Karrieregesichtspunkten oder monetären Erwartungen. Ich kenne keinen Feierabend, sondern möchte, dass mir mein Leben durchgängig Freude macht; nicht nur nach 17 Uhr. Mich reizt das Infragestellen von scheinbar vorgefestigten Tatsachen – sowohl in der Literatur, in der Musik und auch im Film. Wenn mir ein:e Künstler:in oder ein Werk eine Frage stellt und ich nach der Beschäftigung mit diesem Thema anders darüber denke. Schon zu Zeiten Tucholskys, aber auch heute gibt es oft sehr kurze Antworten auf sehr komplexe Fragen; mich haben die komplexen Fragen immer mehr interessiert; als die kurzen Antworten. Deswegen sind auch die Bands der Hamburger Schule so wichtig für mich gewesen.
Durch sie habe ich mich mit Inhalten beschäftigt, die mich gefühlt für das Leben gewappnet haben. Auch die Verweigerungstaktiken der Hamburger Schule haben mich definitiv in meinem eigenen Tun beeinflusst.
Ein Einfluss von Blumfeld und Co., den man auf „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ neben Indie/Folk-Bands wie den Violent Femmes bis hin zu The Velvet Underground raushört.
Einer meiner ersten Abende in Hamburg war im Golden Pudel Club, wo Frank Spilker, Jan Müller und Dirk von Lowtzow rumstanden – genau so, wie ich es mir immer in meinem Berliner Kinderzimmer erträumt habe! Viele dieser Bands sind nie oder selten nach Berlin gekommen. Deshalb war Hamburg für mich schon früh der Nabel der Welt. Egal, wo man damals hingegangen ist: Es ging nur um Musik. Für mich das Paradies… Das Stück „Sie zu ihm“ erinnert zugegebenermaßen ein bisschen an „Heroin“ von The Velvet Underground, wobei meine Tochter die Geige spielt. Bei mir ist John Cale 8 Jahre alt und weiblich (lacht). Meine Kinder waren während des gesamten Produktionsprozesses der Platte dabei. Sie haben sich auch selbst ausgesucht auf „Augen in der Großstadt“ mitzusingen, obwohl es inhaltlich ein eher bittersüßer Text ist. Doch letztendlich kann man seine Kinder nicht vor der Welt schützen. Und ich finde es gut, wenn sie früh genug merken, dass ab und zu auch mal eine Träne in den Tee fällt.
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