‚The XX‘-Sängerin Romy im EntreNous-Interview über ihr erstes Soloalbum
Auf ihrem ersten Soloalbum lädt die ‚The xx‘-Sängerin zu einem Wechselbad der Gefühle ein. Als einen „surrealen Moment zwischen abheben und landen“, beschreibt Romy Madley Croft ihr momentanes Lebensgefühl. Eine Schwerelosigkeit, die die britische Musikerin nun auf ihrem ersten Soloalbum „Mid Air“ eingefangen hat, das am 8.9.2023 erscheinen wird.
Als Mitglied des Londoner Indie-Pop-Trios ‚The xx‘ begeistert Romy Madley Croft seit 2005 ein globales Publikum.
Auf ihrem Solodebüt „Mid Air“ erzählt die 34-jährige Musikerin nun ihre eigene(n) Geschichte(n). Zu tanzbaren Discosounds verarbeitet sie Themen wie Liebe, Trauer, Sexualität und die Suche nach der eigenen Identität.
Dazu legt sie nun ein Album vor, das sich als eine Art Liebesbrief an die internationale Clubkultur, die LGBTQIA+-Community und nicht zuletzt an ihre Partnerin versteht.
EntreNous traf Romy zum 4-Augen-Interview in Berlin
Auf „Mid Air“ erzählen Sie von den Höhen und Tiefen einer Liebe. Wie hat Ihre Partnerin, die Fotografin Vic Lentaigne, auf diese offenen Bekenntnisse reagiert?
Romy: „Sie wusste natürlich davon und hat mich in jedem Aspekt unterstützt. Wir waren schon einmal vor vierzehn Jahren zusammen; ich war 19, sie 20. Damals war es der falsche Zeitpunkt für uns. Wir waren wohl beide noch zu jung. Als ich vor ein paar Jahren von einer Tour zurück kam, trafen wir uns wieder – und diesmal hat alles funktioniert! Sie ist für mich das, was man wohl als Seelenpartnerin bezeichnen würde. Aber obwohl sie eine große Inspiration für die Songs ist, ist sie dennoch sehr kritisch und sagt mir ganz offen ihre Meinung. Diese Ehrlichkeit ist nur eine von vielen Eigenschaften, die ich an ihr mag.“
Sie arbeiten auch auf künstlerischer Seite zusammen. Wie gestaltet sich diese Kollaboration?
Romy: „Wir inspirieren uns gegenseitig. Vic ist für alle Videos und Visuals verantwortlich. Während des Lockdowns haben wir begonnen, zusammen an der visuellen Umsetzung meiner ersten Single zu arbeiten – und es fühlte sich schon von Anfang an sehr schön an! Sie kennt mich so gut und hat tolle Ideen, wie sich die Songs bildlich ausdrücken lassen. Ich glaube, unsere Vertrautheit verleiht meiner Musik nochmal eine ganz besondere Ehrlichkeit. Bei der Arbeit ist sie sehr feinsinnig und unaufdringlich. Sie steht nicht hinter der Kamera und bellt irgendwelche Befehle oder versucht, die Leute zu irgendwelchem Quatsch zu animieren. Sie beobachtet eher und hat feine Antennen, mit denen sie die Menschen wahrnimmt und letztendlich auch im Kern einfängt. Wenn sie Bilder von mir macht, fühlt sich das nicht gestellt oder krampfig, sondern immer sehr entspannt an.“
Sie haben fünf Jahre gebracht, um diese Lovestory zu formulieren. Eine ziemlich lange Zeit!
Romy: „Ursprünglich hatte ich gar nicht geplant, ein Soloalbum zu machen. Ich habe nämlich neben meiner Arbeit mit ‚The xx‘ auch Songs für andere Künstler:innen geschrieben. Doch bei diesen Sessions traf ich meinen heutigen Producer Fred Again. Nachdem wir ein paar gemeinsame Stücke geschrieben hatten, entstand der Track ‚Loveher‘. Als wir uns Gedanken darüber machten, wem wir den Song anbieten könnten, fragte ich zurückhaltend: Vielleicht ist er für mich? Das war der erste zaghafte Schritt zu diesem Album.“
Nachdem Ihre Bandkollegen Oliver Sim und Jamie Smith in den letzten Jahren bereits Soloalben veröffentlicht haben, definieren Sie sich nun erstmals als eigenständige Künstlerin außerhalb von „The xx“. Wie fühlt sich das an?
Romy: „Ich habe etwas gebraucht, um meinen eigenen Sound zu finden. Meine Einflüsse kommen aus dem Pop- und Dance-Bereich; queere, aufbauende, inklusive und positive Hymnen. Das ist die Art von Musik, die ich machen wollte. Die Schwierigkeit war, viele verschiedene Elemente in Einklang zu bringen, bis sich schließlich ein harmonisches Ganzes ergeben hat. Ein bisschen wie bei einem Zauberwürfel, bei dem man auch immer ein wenig herum probieren muss. Das Ergebnis fühlt sich gut und richtig an. In den Songs von ‚The xx‘ ging es nie um uns als Individuum, sondern immer um die Schnittmenge aus den Erfahrungen, die jeder von uns gemacht hat. Jeder von uns hat sich auf seine Weise mit eingebracht – bei meinem Soloalbum erzähle ich aber zum ersten Mal nur von mir. Es war eine ganz neue Erfahrung, eine zusammenhängende Geschichte vom Anfang bis zum Ende zu erzählen. Beziehungsweise bis zu dem Punkt, an dem Vic und ich uns momentan befinden.“
Romy über ihre musikalische Wurzeln und DJ-Karriere
Welche neuen Erfahrungen sind noch mit den Arbeiten zum neuen Album einher gegangen?
Romy: „Ich habe während der Aufnahmen meine Liebe zum Auflegen wiederentdeckt. Und das DJing wiederum hat zu einer Neugierde geführt, mich noch mehr mit aktuellen Musiktrends zu beschäftigen. Ich habe dadurch einerseits viele neue Acts entdeckt und mich gleichzeitig nochmal durch die Sachen gehört, die ich schon als Teenagerin gefeiert habe. Das alles hat dazu beigetragen, mein eigenes Songwriting und meine eigene musikalische Sprache zu entwickeln.“
Sie haben Ihre musikalische Karriere als DJ in London begonnen. Zurück zu den Wurzeln?
Romy: „Könnte man so sagen. Mit 16 fing ich an, mich in queere Clubs reinzuschleichen. Es war eine tolle Erfahrung, endlich eine Community zu finden, in der ich mich wohlfühlte und die mich so nahm, wie ich bin. Menschen, die sich nicht verstellten und sich so zeigten, wie sie waren. Und auch diese großen Pop-Hymnen haben mich begeistert, in der die queere Kultur gefeiert wird. Eines Tages fragte mich der Geschäftsführer, ob ich nicht Lust hätte, selbst aufzulegen. Also habe ich mir ein paar CDs mit meinen damaligen Lieblingssongs gebrannt und mich ins kalte Wasser gestürzt. Nachdem wir ‚The xx‘ gründeten, schlief diese Leidenschaft leider mehr und mehr ein. Aber in den letzten fünf Jahren habe ich wieder verstärkt Zeit zum Auflegen gefunden.“
Romy Madley Crofts Coming-Out und ihre Beziehung zur LGBTQI+ Community
Mit dem Track „Stronger“ feiern Sie heute ganz explizit queere und lesbische Sichtbarkeit …
Romy: „Ich möchte besonders jungen Leuten mit meiner Geschichte Mut machen, ihren persönlichen Weg zu gehen. Denn mit meiner Kunst setze ich mich für das ein, woran ich glaube und will meine Community so gut wie möglich unterstützen. Im Vergleich zu damals haben sich die Dinge in den letzten zehn, zwölf Jahren sehr zum Positiven verändert. Es gibt immer mehr junge, queere Künstler:innen, die sehr offen mit ihrer Sexualität umgehen und für eine starke Sichtbarkeit der queeren Community sorgen. Das finde ich wahnsinnig empowernd. Als wir mit ‚The xx‘ anfingen und zum ersten Mal im öffentlichen Fokus standen, war ich sehr schüchtern und verschlossen, was diese Dinge angeht. Rückblickend bedauere ich diese Unsicherheit und dass ich mich nicht getraut habe, offen über meine Gefühle zu sprechen.“
Etwas, das Sie heute nachholen und Ihr Album als eine Art zweites Coming-Out beschreiben?
Romy: „Mein richtiges Coming-Out hatte ich mit 16. Wie wohl für die meisten war es ein sehr wichtiger Moment für mich. Meine Mutter starb als ich 11 war; ich lebte damals bei meinem Vater. Er hat extrem verständnisvoll und einfühlsam reagiert. Heute ist mir bewusst, dass diese Reaktion nicht bei allen queeren Menschen der Fall ist und dass ich sehr großes Glück hatte. Leider lebt mein Dad nicht mehr, aber die Gewissheit, dass er mich verstanden und unterstützt hat, hat mir viel Kraft gegeben. Heute spreche ich zum ersten Mal ganz offen und frei über meine Sexualität. Wobei mein Queer-Sein nur ein kleiner Teil der Geschichte und nicht das Hauptthema des Albums ist. Gerade in queerer Kunst dreht sich vieles nur um das Queer-Sein an sich oder um das Coming-Out. Mir reicht es nicht, ausschließlich meine sexuelle Orientierung zu thematisieren. Ich stelle sie als ganz normalen Teil meiner Liebesgeschichte mit einer anderen Frau dar. Etwas, was ich als sehr befreiend empfinde.“
Romy Madley Croft über ihr erstes Soloalbum „Mid Air“
Mit Songs wie „Loveher“, „Enjoy Your Life“ oder „The Sea“ bewegen Sie sich zwischen Melancholie und Euphorie. Sie lieben das Wechselbad der Gefühle!
Romy: „Das stimmt. Ich mag es, traurige Texte mit einer nach vorne gehenden, euphorischen Melodie zu einem Happysad-Mix zu kombinieren. ‚Stronger‘ und ‚Enjoy Your Life‘ beschäftigen sich im Grunde mit Trauer. Die Botschaft ist, immer das Positive zu sehen und sich nicht runterziehen zu lassen. Das Leben ist sehr kurz, deshalb sollte man es so gut es geht genießen. Ein Ratschlag, den ich von meiner Mutter bekommen habe. Spätestens, als ich auch meinen Vater verlor, habe ich das zu meinem Lebensmotto gemacht. ‚The Sea‘ ist so eine Art verdrehte Lovestory und erzählt von der Zeit, als Vic und ich zum ersten Mal zusammen kamen und die Dinge nicht so liefen, wie wir uns es erhofft hätten. Der Song ‚She’s On My Mind‘ dagegen ist eine recht deutliche Liebeserklärung …“
Wie sehen Ihre nächsten Pläne aus?
Romy: „Wir arbeiten schon am nächsten ‚The xx‘-Album. Ich denke, wir alle haben uns durch die Soloprojekte sowohl als Künstler wie auch als Menschen weiterentwickelt. Deswegen bin extrem gespannt, welchen Effekt das auf die Band hat und bin sehr glücklich, diese beiden kreativen Outlets zu haben. Ich freue mich auf das, was vor mir liegt.“
Interview & Text: Thomas Clausen
Fotos: Katja Ogrin | Empix Entertainment via imago-images, Beggars Group
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